108 Meter Kunst, Kultur und Gastronomie. Von Anfang an wurde die Böttcherstraße als Touristenattraktion konzipiert und auch heute herrscht geselliges Treiben in den Gassen. Kreative Geschäfte und Ausstellungsräume verbinden künstlerische und handwerkliche Selbstverwirklichung. Kaum zu glauben, dass dieser Grundgedanke seit über 100 Jahren unverändert blieb.
Fässer waren die Container des Mittelalters. Kein Wunder also, dass bis ins 19. Jahrhundert hinein das sogenannte „Böttcherhandwerk“ boomte. Die Herstellung und der Verkauf von Fässern machten geschickte Kaufleute und eifrige Handwerker zu reichen Männern – und kein Ort war für dieses Aufstreben besser geeignet, als die Verbindungsstraße zwischen Marktplatz und Wasser, die Böttcherstraße. Während das Handwerk mit dem Vormarsch der Industrialisierung allmählich verblasste, blieb der Name der Straße erhalten. Bis heute.
Um das Jahr 1900 war der Zustand der Bremer Böttcherstraße so katastrophal, dass die Stadt das komplette Gebiet abreißen und durch Behördenbauten ersetzen wollte. Hier kam Ludwig Roselius ins Spiel – ein erfolgreicher Unternehmer, der sich mit geschickter Werbung und seiner Innovation, dem koffeinfreien Kaffee, mit „Kaffee HAG“ einen Weltkonzern geschaffen hatte. Die beiden Besitzerinnen der Böttcherstraße 6, (heute „Roselius Haus“), traten 1902 an den Geschäftsmann heran und baten ihn, das Haus zu kaufen, „damit der Eisen-Finke nicht auch hierhin seine ollen rostigen Stangen stellt“. Eine vielleicht zunächst absurde Bitte, die allerdings einen ungeahnt großen Stein ins Rollen brachte. Denn mit Roselius hatten die beiden Damen unwissentlich den aus heutiger Sicht wohl denkbar besten Käufer gefunden. Für den kunst-, archäologie- und kulturinteressierten Sammler war die Straße der Schlüssel zur Verwirklichung seiner persönlichen Vision: ein aufsehenerregendes Gesamtkunstwerk, verwirklicht durch moderne Architektur und traditionelles Handwerk.
Die Böttcherstraße 6 wurde ab 1909 zur „Zentrale“ seines Schaffens in der Böttcherstraße. Für Kaufleute, Künstler, Architekten und Literaten innerhalb der „Niedersachsenrunde von 1900“ standen seine Türen offen und sein Traum nahm über die Jahre bis 1931 allmählich Gestalt an. Mit den drei Architekten Eduard Scotland, Alfred Runge und Bernhard Hoetger, einem guten Freund und Bildhauer, verwirklichte er Stück für Stück seine Idee von einem kulturellen Aufbruch in die Moderne. Da für Besucher aus Übersee die Hansestadt Bremen einer der ersten Anlaufpunkte war, wurde die Böttcherstraße von Anfang an als Touristenattraktion, als „Stadt in der Stadt“, konzipiert. Dabei sahen die Besucher in der Böttcherstraße nicht nur Heimatverbundenes, sondern wurden mit höchst individueller und künstlerischer Architektur konfrontiert.
Ludwig Roselius verstarb 1943 in Berlin, kurze Zeit später fiel sein Lebenswerk den Bomben der Alliierten zum Opfer. Was ein großer Verlust für die deutsche Kunst hätte bleiben können, wurde vor allem durch den leidenschaftlichen Einsatz von Ludwig Roselius’ Tochter Hildegard eine der bedeutendsten privaten Aufbauleistungen des Nachkriegsdeutschlands. In fast zehnjähriger Arbeit wurden bis 1954 alle Fassaden wiederhergestellt. Unter Bremern etablierte die Böttcherstraße in den 50er und 60er Jahren schnell den Ruf als Straße der Kultur, Bremens heimlicher Hauptstraße. Umgeben von hochwertigem Einzelhandel und gediegener Gastronomie fanden hier Künstler und Kultur-Touristen eine attraktive Anlaufstelle. Da sich ab den 70er Jahren erneut Schäden an der Bausubstanz bemerkbar machten, erwarb die Sparkasse Bremen 1988 die Böttcherstraße und stellte, soweit möglich, in Zuge einer Sanierung bis 1999 den originalgetreuen Vorkriegszustand wieder her. Seit 2003 befindet sich die Böttcherstraße nun im Besitz der Stiftung Bremer Sparer-Dank, die bis heute den ursprünglichen Grundgedanken, die Verbindung von Kunst und Handwerk, erhält und fördert. Einerseits begeistern kulturelle Veranstaltungen, Kunstausstellungen und zwei Museen Bremer und Touristen gleichermaßen, andererseits bietet die Straße nach wie vor Schauwerkstätten für qualitatives Kunsthandwerk.